Fender Tweed Deluxe Amps scheinen beliebter denn je. Die lange Erfolgsgeschichte dieser Verstärker ist leicht nachvollziehbar: Sie sind die perfekte Lösung für kleinere Live-Gigs, den Proberaum und natürlich Recordings. 16 Watt und ein 12“-Lautsprecher scheinen in den meisten Fällen genug, um auf einer Blues-Session oder im Studio zu glänzen. Die Liste der Fans im Profi-Lager liest sich wie ein Who is Who der Rockgeschichte: Neil Young, Larry Carlton, David Lindley, Don Felder, Peter Frampton, Lenny Kravitz, Keith Richards, Pete Townshend, The Edge, Mike Campbell, Jeff Beck, Kenny Wayne Shepard oder Billy Gibbons sind nur eine kleine Auswahl der regelmäßigen Tweed-Deluxe-Nutzer.
Seine Magie schöpft dieser Verstärker seit jeher aus der im Kathoden-Bias-Betrieb leicht gesättigten Endstufe mit zwei 6V6- Endstufenröhren. Diese Amps singen! Man benötigt keine zusätzlichen Effekte. Sie bieten einen verführerischen Clean-Sound und eine noch bessere Crunch-Kralle bei höheren Lautstärken. Obwohl hier nur ein Lautstärkeregler und ein schlichtes Tone-Poti vorhanden sind, kann man beinahe alle Spielarten damit abdecken. Sogar Kenny Burrell intonierte einst sein berühmtes ,Chitlins Con Carne‘ über einen Tweed Deluxe.
Mit ein paar Unterbrechungen wurden diese Amps seit 1948 produziert. Und meist in der sogenannten Narrow-Panel-Ausführung, wie man seit 1955 die Gehäuse-Form des Tweed-Combos bezeichnete. In den ersten sechs Jahren kamen diese Amps mit 6SN7- oder 6SL7-Vorstufen-Röhren – viele davon im schwarzen Metallgehäuse. Ab 1954 verabschiedete man sich von diesen Kolben und ersetzte sie durch eine 12AY7 in der Vorstufe und eine 12AX7 in der Treiberstufe. Eigentlich ist dies die Geburtsstunde des ersten „richtigen“ Tweed Deluxe Amps, so wie wir ihn heute kennen und lieben.

Und genau aus diesen Tagen stammt unser Test-Exemplar in dieser Amp-Station-Folge. Der sichtbar betagte Combo stammt aus dem Jahr 1954, hat schon die 12AY7/12AX7-Vorstufen-Kombination und entspricht in Puncto Schaltung schon beinahe der letzten und berühmtesten Schaltungsvariante 5E3 und wird daher noch mit 5D3 bezeichnet. Das Gehäuse ist noch etwas kleiner als bei späteren Modellen und hat breitere obere und untere Querstreben an der Front, weshalb man diese Amps als „Wide-Panel“- Modelle kennt.
Diese Verstärker haben statt vier nur drei Eingänge, die noch keine 1Meg-Eingangswiderstände besaßen. In der Schaltung finden wir noch die berühmten roten Jupiter-Kondensatoren, die später durch die ebenfalls legendären Yellow Astrons abgelöst wurden. Hierin besteht übrigens einer der wesentlichen Unterschiede zwischen dem 5D3- und dem 5E3-Modell. Die Jupiter-Kondensatoren liefern einen etwas dunkleren und mehr in den Mitten betonten Sound. Daher erinnern diese frühen Deluxe auch sehr an alte Vox AC30 oder frühe Marshall-Amps. Sie klingen deshalb jedoch keineswegs dunkel oder matt. Man bekommt nur etwas mehr von dieser Marshall-typischen Mittenkralle, die sich perfekt für Rockriffs eignet, was übrigens kein anderer Gitarrist besser unter Beweis stellte als Tom Pettys Sideman Mike Campbell. Die meisten markanten Crunch-Riffs auf den vielen Tom-Petty-Hits wurden mit diesem Amp aufgenommen.
Im Gehäuse arbeitet wie in allen Fender-Tweed-Combos ein Jensen Alnico-Lautsprecher, der zwar unvergleichlich klar und offen tönt, dafür aber auch recht leise und instabil klingt. Daher wurden diese Lautsprecher nicht selten durch stärkere Celestions oder aktuelle Entsprechungen von Weber SVT ersetzt. Der Speaker im Test-Amp läuft trotz seines hohen Alters überraschend gut, ist aber nur etwa halb so laut wie ein Celestion Alnico Blue. Daher muss man in Sachen Lautstärke bei diesen Amps deutlich Abstriche machen. So verführerisch dieser „Glockenton“ auch sein mag, mehr als zimmerlaut ist einfach nicht drin.

Dennoch kann man sich für eine Probe zu Hause oder die Aufnahme von Blues- oder Rockabilly-Licks kaum etwas Besseres vorstellen. Ich habe über diese Amps sogar schon Akustik-Gitarren aufgenommen, ohne, dass sie hinterher elektrisch verstärkt wirkten – so offen und natürlich geben diese Lautsprecher jedes Instrument wieder. 1954 war offenbar noch nicht so viel Lautstärke gefragt – der Rock’n’Roll klopfte zunächst leise an die Tür.
Das Gehäuse wurde aus massiver Pinie gefertigt, wodurch die Deluxe Amps auch heute noch ein bisschen wie ein „Geigenkasten“ tönen: Das Gehäuse schwingt fleißig mit und trägt dadurch zu dieser berühmten dreidimensionalen Abstrahlung bei. Wer etwas mehr Headroom oder Stabilität möchte, kann die beiden 6V6-Röhren gegen 6L6 und die 5Y3-Gleichrichterröhre durch eine GZ34 oder 5V4 ersetzen. Zusammen mit einem effizienteren Speaker kann man den Amp somit leicht in einen Live-Amp verwandeln.
Es verwundert kaum, dass die Boutique-Amp-Legenden der Siebzigerjahre wie Alexander Dumble, Jim Kelley oder Randall Smith bei ihren Entwicklungen auch stets dem Tweed-Deluxe-Sound nacheiferten. So ist etwa der berühmte Dumble-Overdrive-Kanal einem voll aufgedrehten Tweed Deluxe nachempfunden. Und ob man es glaubt oder nicht, diese frühen Wide-Panel-Modelle „dumbeln“ aufgrund der prominenten Mitten sogar noch etwas mehr als die späteren 5E3-Modelle.

In meiner Rubrik „Rare Bird“ taucht dieser Amp deshalb auf, weil er in dieser Ausführung nur ein knappes Jahr gebaut wurde und daher wesentlich seltener ist als ein Narrow-Panel-Verstärker. Und aufgrund des kleineren Gehäuses sind diese Amps offenbar etwas weniger begehrt als ihre Nachfolger. Auf dem Vintage-Markt sind sie deshalb auch noch nicht so übertrieben teuer. Ist das Gehäuse etwa ähnlich heruntergekommen wie bei dem abgebildeten Amp, kann man ein Exemplar schon für etwa € 2000 ergattern. Und das ist preiswerter als das aktuelle Reissue-Modell von Fender. Leider findet man solche Schnäppchen meist nur noch auf dem amerikanischen Markt und muss daher Transport- und Zollgebühren aufschlagen.
Unser Test-Proband stammt von meinem Kollegen Dr. Carlo May, für den ich ihn vor einiger Zeit restaurieren durfte. Zwei, drei Kondensatoren und ein paar rauschanfällige Widerstände mussten getauscht werden. Hinterher klang er wieder perfekt und so crunchy und rockig wie kaum ein anderer Amp in meiner Werkstatt. Wer ganz genau wissen will, wie ein WidePanel-Deluxe in Höchstform klingt, sollte sich Tom Pettys ,Wildflowers‘-Album anhören. Im Intro von ,Honey Bee‘ hört man den Amp in Vollendung. Weitere Beispiele sind das Intro von ‚Mary Jane’s Last Dance‘ oder Billy Gibbons’ ‚La Grange‘. Alles Rocksounds vom Allerfeinsten!
Bis zum nächsten Mal, Udo Pipper
(erschienen in Gitarre & Bass 02/2018)